Die extreme Rechte in Gestalt von NPD und den Freien Nationalisten Kraichgau hatten am Samstag, 16. Juni, in Wiesloch nichts zu gewinnen. Aktuellen Angaben der Polizei zu folge stand ein kleiner Haufen von 28 Nazis in Wiesloch etwa 3000 (nochmal in Worten: dreitausend) Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten gegenüber.
Blockade
Bereits um 06:15 Uhr trafen sich etwa 70 Bündnis-Mitstreiterinnen und Mitstreiter auf dem Adenauerplatz um gegen 07:00 Uhr gemeinsam Richtung Kundgebungsort, dem – welche Ironie – Fontenay-aux-Roses-Platz (Fontenay-aux-Roses ist die französische Partnerstadt von Wiesloch), zu ziehen. Zwar hatte sich dort bereits eine geringe Polizeipräsenz von 5 Autos und etwa 10 Polizisten zusammengefunden, doch war es diesen nicht möglich die friedliche Protest-Blockade vor dem Schlecker auf dem Fontenay-aux-Roses-Platz zu verhindern. Zu jeder Zeit bestand ein guter und freundlicher Austausch zwischen der Polizei und den Demonstranten.
So wurde etwa gegen 08:30 durch Bauhof und Polizei ein etwa 50 Quadratmeter großer „Käfig“ für die Nazis aufgebaut, welcher durch einen etwa 10 m abgesperrten Sicherheitsbereich umrandet und abgesperrt wurde. Den Blockierenden war es zu verdanken, dass man nun eine Verhandlungsgrundlage mit der Polizei besaß. Diese ließ sich darauf ein, dass sofern die Blockade den Platz für die Absperrung räumt, die Demonstranten sich entsprechend um das gesamte abgesperrte Areal aufhalten dürften, was in Folge auch so passierte. Bei guter Stimmung warteten die Blockierer auf dem Fontenay-aux-Roses-Platz.
Fest der Toleranz auf dem Adenauerplatz – „Unser Kreuz hat keine Haken“
Gleichzeitig liefen auf dem Adenauerplatz die Vorbereitungen für das Fest der Toleranz. Die Musikanlage wurde aufgebaut, Bänke aufgestellt, Plakate wurden aufgehängt etc. Bis zehn Minuten vor elf Uhr waren nur wenige Menschen gekommen. Aber kurz vor der Eröffnung füllte sich der Adenauerplatz mit einigen hundert Menschen – Jung und Alt, von nah und fern, mit und ohne Migrationshintergrund.
In einer mitreißenden Ansprache wurde die Kundgebung und das Fest der Toleranz auf dem Adenauerplatz eröffnet. Auch der Oberbürgermeister Franz Schaidhammer („Neonazis sind ungebeten und unerwünscht“) und Pfarrer Haffner („Ich möchte Sie ermutigen, für die Würde des Menschen immer wieder einzutreten“ und „Unser Kreuz hat keine Haken“) fanden deutliche Worte. Auch, wenn es eine Selbstverständlichkeit war, betonten die Redner, dass der Protest gegen die NPD-Kundgebung nur ein friedlicher Protest sein kann.
Massen auf der Ringstraße
Nach und nach fanden sich immer mehr Demonstranten in der Ringstraße ein, bis die Polizei schließlich dreimal die Protestanten aufforderte, diese zu räumen. Jedoch war klar, dass dies zu diesem Zeitpunkt für die Demonstranten bereits keine Alternative mehr war. Die Übermacht der Demonstrantinnen und Demonstranten gipfelte, als sich die bis dato zusammengefundenen Teilnehmer der Kundgebung auf dem Adenauerplatz gegen 12 Uhr gemeinsam auf den Weg Richtung Ringstraße machten.
Demo-Zug
Nach den Ansprachen und der Einladung an die Bevölkerung entweder mit dem Demonstrationszug gemeinsam in Richtung Fontenay-aux-Roses-Platz zu ziehen oder auf dem Adenauerplatz bei Musik und Unterhaltung ein Zeichen zu setzten, wurden die Organisatoren von den Blockade-Teilnehmern um Unterstützung gebeten. Etwas früher als geplant formierte sich der Demonstrationszug vor dem Dannheimer am Bacchus-Brunnen. Dort folgten eine weitere Ansprache und die Verlesung der Wieslocher Erklärung. Im Anschluss machte man sich gemeinsam und unter dem Getöse von Trillerpfeifen und Vuvuzelas auf den Weg, begleitet von den Kirchenglocken der evangelischen und katholischen Kirchen. Die erste Reihe trug ein Banner mit der Aufschrift „Keine Nazis in Wiesloch – Wiesloch ist tolerant, bunt und vielfältig – nicht braun!“ Weiter als bis zur Höhe der Löwen-Apotheke kam man nicht, da die Polizei die Leimbach-Brücke absperrte. Die Fußgängerzone war nach dem Beginn des Demonstrationszuges vollkommen von der Menschenmasse gefüllt, vom Schlecker bis zum Adenauerplatz war die große Zahl von aufrechten Demokraten angewachsen.
Spontaner Kessel
Gegen halb eins trafen die NPD`ler ein. Mittlerweile ließ es die Situation nicht mehr zu, dass Neo-Nazis zum eigentlichen Kundgebungsort vorgelassen werden konnten. Die Überzahl der Demokraten war zu groß. Es wäre für die Polizei nicht verhältnismäßig gewesen den Weg für die NPD´ler und „freie Nationalisten“ freizumachen.
Zusätzlich trafen mehrere Hundert Demonstranten vom Osten, also aus Richtung des Palatins dazu und somit bildete sich völlig spontan ein echter „Kessel buntes“.
Die NPD musste somit eine spontane Miniatur-Kundgebung, eingekesselt von etwa 1500 Demonstranten und „beschützt“ von etwa 200 Polizisten zwischen deren Fuhrpark abhalten. Auf der Ringstraße, zwischen der Bushaltestelle und der Einmündung zur Markstrasse, eingekesselt von einer bunten Menschenmenge versuchten die Nazis nun vergeblich sich Gehör zu verschaffen.
Verwaltungsmitarbeiter, welche sich in direkter Nähe (etwa 10 m) innerhalb des Sicherheitsbereiches zu den Nazis aufhalten mussten, berichteten später, dass es nicht möglich war auf diese Entfernung auch nur den Hauch eines Wortes der NPD-Redner zu verstehen. Deren braune Propaganda verhallte somit unter dem ohrenbetäubenden Lärm der Demonstranten ungehört.
Abzug
Gegen 14 Uhr beendeten die NPD ihre „Kundgebung“ und wurde von der Polizei aus ihrem abgesperrten Bereich über die Gerbereistraße in Richtung Palatin Tiefgarage begleitet. In der Gerbereistraße kam es zu einem kurzen Zusammenstoß zwischen der Polizei und Gegendemonstranten, die diesen Vorfall provozierten und nichts mit dem Aktionsbündnis zu tun hatten. Da auch die Polizei dies als „Randaspekt“ bezeichnete, muss dies auch nicht weiter thematisiert werden.
Die Ausfahrt der Nazis aus der Palatin Tiefgarage war ein denkwürdiges Bild. Die Polizei sicherte die Ausfahrt und stoßweise kamen die Nazis heraus gefahren. Viele Menschen ließen es sich nicht nehmen die Teilnehmer der NPD-„Kundgebung“ auszubuhen.
Ein schöner Abgang!
Interessant waren auch die verschiedenen Autokennzeichen der Neo-Nazis – sie benötigten für ihre „Kundgebung“ Unterstützung aus Heilbronn, aus der Bodensee-Region und aus dem Saarland.
Die meisten Unterstützter versammelten sich – nachdem klar war, dass die NPD die Stadt verlassen hatte – auf dem Adenauerplatz, um den Erfolg gemeinsam zu feiern. Auf dem Adenauerplatz war seit 11 Uhr ein buntes Programm: Neben den schon erwähnten Rednern spielten verschiedene Bands wie die Rock-Combo der Jugendmusikschule, die Jugendband Pantano sowie die Rock-Band Old Mon Coyote und Sinus. Kinder malten Bilder und bastelten Buttons, hatten Spaß mit Riesenseifenblasen und bunter Schminke.
Friedenstaube
Um 16 Uhr wurde die Kundgebung auf dem Adenauerplatz offiziell beendet Zum Abschluss stiegen Friedenstauben in den Himmel. Die Friedenstauben untermauerten auf eindrucksvolle Weise die Vorgehensweise des Aktionsbündnisses und den Verlauf des gesamten Tages:
„Friedliches, tolerantes Miteinander“
Von einer latent aggressiven Stimmung, wie es in einem Leserbrief stand, war nichts zu spüren.
Fazit, Dank, Zukunft und wie geht es weiter
„Ich habe mich noch nie so heimisch in Wiesloch gefühlt, wie an diesem Tag“, „Danke Wiesloch!“ oder „Ich bin stolz auf Wiesloch“, „Hut ab! Bin gerade erst nach Wiesloch gezogen und hätte dem „Kaff“ nicht zugetraut so viele Leute zu mobilisieren und so friedlich die Nazis in die Schranken zu weisen“, „Die kommen nicht mehr. Die haben ihr eigenes Wort nicht verstanden und haben nichts erreicht. Sitzblockade und Entschlossenheit haben die NPD‘ler aufgehalten.“, „Klasse Aktion!“ waren nur einige wenige Sätze, die an diesem Tag und in den Tagen danach gefallen sind.
Keine Frage Wiesloch und alle Unterstützer aus dem Umland können sehr stolz sein.
Besonders beeindruckt war die Aussage eines DGB-Vertreters, der meinte:
„Es gibt wohl kein Beispiel in Deutschland
in dem in dieser kurzen Zeit
ein so breiter Protest auf die Beine gestellt wurde“.
Zum Vergleich: am 1. Mai formierten sich in der Großstadt Mannheim 3.000-3.500 Nazi-Gegner. Die Große Kreisstadt Wiesloch kann hier locker mithalten.
Wow! Tolle Leistung! Super!
Zum Abschluss bleibt noch ein großes Danke:
- Allen Vereinen, Verbänden, Gruppen, Parteien, Kirchen, Unternehmen und Organisationen (Liste auf der Homepage)
- allen aktiven und passiven Unterstützter
- den Spendern
- Bund der Selbständigen (300,- Euro)
- Kanzlei Akbas und Kollegen (200,- Euro)
- FDP Südliche Bergstraße (100,- Euro)
- Glaserei Sauer (Sachspende)
- den vielen Spenden von Bürgern
- Bandstuff.de für die Spender der T-Shirts
- Buchhandlung Eulenspiegel für den Verkauf der T-Shirts und Bücher Dörner für den Verkauf der Vuvuzelas
- Werbeagentur Dolderer für das Design der Werbematerialien
- Jan Oppenheimer für das Erstellen der Homepage
- dem Palatin für die logistische Unterstützung und dem Median für die Verpflegung der Bands
- den Bands
- Basekicks
- Jugendmusikschule
- Old Man Coyote
- Pantano Soundsystem
- DJ Joe Stringer
- den Kindergärten ‚die Wilde 18‘ und ‚Pusteblume‘ für die Kinderbetreuung
- dem Roten Kreuz und dem Malteser Hilfsdienst
- Aber auch der Polizei für den guten, besonnen Einsatz und eine gute Kooperation im Vorfeld
- Vor allem aber auch allen Bürgerinnen und Bürger – aus Wiesloch und Umgebung – für das Kommen und für die Unterstützung.
- …
Wiesloch hat etwas Besonderes auf die Beine gestellt.
In einem Nachtreffen waren sich die Organisatoren einig, dass das Bündnis weiter bestehen soll und wird. Wie genau, möchte man bei einem Treffen nach den Sommerferien überlegen.
Die Organisationsstruktur soll auf alle Fälle beibehalten werden, um auf zukünftige Ankündigungen der NPD reagieren zu können. Denn einig waren sich alle Teilnehmer, dass Wiesloch jederzeit ein Bündnis in ähnlicher Größe aufstellen könne.
Aber das Aktionsbündnis – mit Homepage und Facebook-Seite – soll auch Vorbild und Unterstützungsplattform für andere Aktionsbündnisse sein.
Ja, es war ein großer Tag für Wiesloch, für ein gutes Miteinander, für Toleranz!
Und es war ein schlechter Tag für die Nazis!
Für das Aktionsbündnis:
- Adrian Seidler
- Stefan Seewöster
- Jan Oppenheimer
- Dr. Lars Castellucci
- Günter Schroth
- Jochen Dolderer